Das siebente Huhn

Das siebente Huhn

Es war einmal ein Bauer, der lebte am Rande des Dorfes, nicht weit vom Wald entfernt, mit seinen sieben Hühnern. Er hatte einen hohen Zaun um seinen Bauernhof gebaut, daß der Fuchs, der Wolf und der Bär nicht hereinkommen konnten, um seine Hühner zu fressen.

Früh kam der Bauer und brachte die Körner für seine Hühner, die er über den Hof streute und am Nachmittag ging er in den Stall und holte sich von jedem Huhn das Ei aus dem Nest., welches sie gelegt hatten
So lebten sie glücklich und zufrieden miteinander jeden einzelnen Tag.

Das ging so einige Jahre. Er konnte nicht so viele Eier selbst essen, deshalb verkaufte er sie auf dem Markt in der Stadt. Von den Silberstücken die er dafür bekam kaufte er seiner Frau goldene Ketten und Ringe für die Ohren und die Finger.

Eines der sieben Hühner sah das goldene Glitzerzeug bei der Bäuerin und wollte es nicht leiden. Es sagte zu den anderen Hühnern, hört mal her, ist es nicht unverschämt, das der Bauer jeden Tag unsere Eier aus dem Nest holt und sie verkauft. Er macht sich ein schönes Leben mit der Bäuerin und wir haben die Arbeit.
Die anderen sagten, was du nur hast. Der Bauer bringt uns jeden Tag Futter, hat uns einen schönen Stall aus dicken Brettern gezimmert, wo wir sicher und warm schlafen können, wenn es draußen regnet oder schneit. Er hat einen hohen Zaun gebaut und wir sind den ganzen Tag und die finstere Nacht sicher, vor dem gefräßigen Fuchs, Wolf und Bär. Es ist doch wunderbar, wenn man sich um nichts kümmern muß.
Wir legen jeden Tag ein Ei und denken nichts dabei. Das ist unser Leben, da kann man doch sowieso nichts dran ändern.

Das siebente Huhn wollte sich damit nicht abfinden und grübelte jeden Tag ob man nicht doch etwas an diesem Leben anders machen könnte. Am fünften Tag der Grübelei kam ihm die Idee. Auf einer Seite vom Bauernhof grenzte der nächste Bauernhof an und dort stand ein alter Schuppen der nicht mehr gebraucht wurde.
Das Huhn plante den Ausbruch aus dem Bauernhof und trainierte dafür jeden Tag seine Flügel. Denn es mußte über den hohen Zaun fliegen und von dort noch einmal hoch auf den alten Schuppen. Dann endlich konnte das ersehnte neue Leben beginnen.

Die Flügel wurden tatsächlich durch das ständige flattern immer stärker, die Muskeln wuchsen und jeden Tag bei einem neuen Versuch konnte es schon etwas höher fliegen. Dann begann es auch etwas weniger zu fressen, denn es wollte nicht mehr fett sein und zu schwer, zum fliegen.
Es dauerte ein paar Wochen, die sehr anstrengend für das Huhn waren, aber dann gelang es. Es konnte bis auf den Zaun fliegen und dann nochmal hoch auf den alten Schuppen. Dem fehlte auf der Giebelseite ein Brett, das der Sturm letzten Winter abgerissen hatte. Das Huhn schaute hinein und fand es hier sehr gemütlich. Es suchte sich Strohhalme und Heu zusammen, riß sich um Schluß noch ein paar weiche Federn aus und baute sich ein perfektes, wunderbar kuscheliges Nest. Gleich darauf legte es ein Ei.

Nachdem das Huhn sich von dieser Anstrengung ausgeruht hatte verspürte es großen Hunger, aber in dem Schuppen war absolut nichts zu finden, zum fressen. Eigentlich wollte es auch sofort weit weg vom Bauernhof, um endlich frei zu sein und so zu leben, wie es das selbst bestimmen kann.

Denn schon immer hatte es die Spatzen bewundert. Sie kamen holten sich ein paar Körner, wenn es für die Hühner das Futter gab und flogen dann wieder weiter auf die Wiesen und Felder.
Aber auf der einen Seite waren die ganzen Bauernhöfe und die anderen Bauern würden es fangen und wieder zurückbringen und auf der anderen Seite war der Wald in dem der Fuchs, Wolf und Bär hausten, die es sofort gefressen hätten, dachte es.

Der quälende Hunger war immer noch da, ging nicht weg und jetzt kam auch noch der Durst dazu.
Was sollte es machen?
Das Huhn schaute zum Schuppen hinaus und sah die anderen sechs Hühner, wie sie sich um die Körner stritten, welche noch im Hof lagen und dann sah es die Schüssel mit dem wunderbaren klaren Wasser. Es konnte nicht anders, es flog wieder zu den anderen und stürzte sich auf das Wasser und es schmeckte heute viel besser als sonst. Dann suchte es sich noch ein paar Körner und ging vergnügt mit den anderen in den Stall. Zusammen ist es doch viel schöner als alleine dachte es noch und schlief sofort ein, nach diesem Abenteuer.

Am nächsten Morgen nachdem es genug getrunken und Körner gepickt hatte, konnte das Huhn es kaum erwarten bis die anderen sich auf dem Hof verteilten. Denn dann konnte es wieder, ohne das es jemand bemerkte, über den Zaun fliegen, zum alten Schuppen.
Dort legte es wieder ein Ei, in sein wunderschönes kuscheliges Nest und freute sich sehr das jetzt schon zwei Eier im Nest waren. Ein Anblick den es noch nie gesehen hatte.
Obwohl es doch heute extra so gut gefuttert und getrunken hatte, kam wieder wie gestern der Hunger und der Durst. Es war wieder nicht zum aushalten und wieder flog es zurück, wie am Tag zuvor. Die anderen Hühner hatten nichts bemerkt und alle zusammen gingen gackernd wieder in den Stall, als es dunkel wurde und schliefen, nachdem sie sich noch lustige Geschichten vom Tag erzählt hatten. Das siebente Huhn hörte aufmerksam zu, denn es hatte ja nichts mitbekommen, von dem was die anderen den ganzen Tag getrieben hatten.

Die Tage vergingen immer auf diese gleiche Weise. Das siebente Huhn flog nach dem Fressen und Trinken am Morgen in seinen Schuppen und legte ein Ei. Dort waren es schon über ein Dutzend geworden. Das kuschelige Nest war viel zu klein dafür und es hatte viel Stroh heran schaffen müssen, um das Nest zu vergrößern.

Die täglichen Ausflüge konnten natürlich nicht für immer den anderen Hühnern verborgen bleiben. Oft wurde das siebente Huhn abends im Stall gefragt, wo es denn den ganzen Tag gewesen sei man habe es nicht bei der Gruppe gesehen. Es suchte dann nach einer Ausrede und log, es wäre hier und dort hinter einem Busch gewesen oder hätte sich vor der Sonne hinter den Steinen in den Schatten gesetzt.
Irgendwann glaubten die anderen Hühner diese Ausreden nicht mehr. Denn sie dachten das siebente Huhn hätte eine ganz besondere Stelle gefunden, wo es dicke Regenwürmer oder schöne Körner gab die man fressen konnte. Deshalb besprachen sie sich heimlich und wollten es fortan beobachten.
Am nächsten Morgen taten sie wie immer, jagten über den Hof und suchten Körner, aber mit einem Auge beobachteten sie immer, was das siebente Huhn machte.
Mit weit aufgerissenen Augen sahen sie plötzlich, wie dieses anfing hinter dem dichten Busch zu flattern, dann zu fliegen, sich auf den hohen Zaun setzte und dann noch hoch flog zu dem alten Schuppen.
Sie waren fassungslos wie es möglich war das ein Huhn fliegen konnte und sie begannen auch zu flattern, aber keines schaffte es auch nur einen Meter hoch zu kommen. Sie waren erst neidisch und dann wütend.
Am Abend im Stall stellten sie das siebente Huhn zur Rede. Ob es denn zaubern und hexen könnte, denn sie hätten es alle versucht und kein anderes hätte es geschafft auf den Zaun zu fliegen. Dem siebenten Huhn wurde Angst und bange, denn wenn die Anderem dem Bauern sagen würden, es könnte hexen, dann würde er das verhexte Huhn schlachten und in der Pfanne braten, für den Pfarrer.

Deshalb erzählte es den Anderen, wie es jeden Tag trainiert hatte, wie es sich abgemüht hatte, bis es endlich fliegen konnte.

Am nächsten Tag war auf dem Hof eine wilde Fliegerei im Gange. Jedes der Hühner flatterte nach Leibeskräften um die Wette. Das siebente Huhn gab die Anleitung dazu und alle mühten sich das fliegen zu lernen. Am Abend waren sie alle sehr hungrig und wollten fressen, aber das siebente Huhn sagte, sie sollten sich mäßigen, gerade jetzt nicht viel fressen, daß sie morgen leichter wären. Aber keines der anderen Hühner hörte darauf, es schien als würden sie heute alle doppelt so viel fressen, wie sonst.

Am nächsten Morgen waren die anderen Hühner sehr schlapp. Die Flügel schmerzten von der Anstrengung des vorigen Tages und der Magen war schon wieder leer, der Hunger schrecklich. Sie riefen eine Beratung ein und stellten fest, daß es unmöglich sei zu fliegen. Keines wollte sich weiter abrackern an einer Sache die sowieso nicht funktioniert und dafür hunger leiden und Schmerzen ertragen. Das siebente Huhn mußte gelogen haben, es wurde von den Anderen aus der Gruppe ausgeschlossen und keines redete mehr mit ihm.

Auch dem Bauern war aufgefallen, daß an den letzten Tagen nur noch sechs Eier in den Nestern lagen und nicht mehr sieben, wie es sonst war. Er war verwundert und glaubte erst eins seiner Hühner wäre krank, aber alle sahen gleich gut aus. Daran konnte es also nicht liegen. Er wußte sich keinen Rat.
Als er mit der Bäuerin darüber sprach, sagte diese er soll die Hühner heimlich beobachten, vielleicht frißt eines das fehlende Ei selbst und dann muß es geschlachtet werden und daraus eine Suppe gemacht werden. Denn wenn man diesem Handeln keinen Riegel vorschiebt machen es noch die anderen nach.

Es war ein regnerischer Tag, die anderen Hühner hatten sich unter die Bäume am Haus gestellt, suchten dort Schutz vor dem Regen und pickten nach Würmern, die aus der Erde kamen, um nicht zu ertrinken.
Das siebente Huhn lief gerade zum dichten Busch und begann zu flattern, um auf den Zaun zu fliegen. Da kam der Bauer aus dem Haus und lief zum Holzstapel, Holz für den Herd zu holen, denn die Bäuerin wollte heute einen Kuchen backen.

In dem Moment fingen die sechs Hühner an, einen fürchterlichen Lärm zu machen. Sie gackerten laut und alle durcheinander, flogen hin und her und schlugen mit den Flügeln. Über diesen Radau war der Bauer erschrocken, denn er dachte schon der Fuchs wäre irgendwie in den Hof gekommen und hätte die Hühner erschreckt. Er schaute deshalb zu den Hühnern und dachte er kann seinen Augen nicht vertrauen, da saß doch eins seiner Hühner auf dem hohen Zaun. Er was schockiert, wie konnte das denn sein. Das Huhn ist doch keine Taube. Doch sein Schreck wurde noch größer als das Huhn vom Zaun noch einmal hoch zum Schuppen flog und dort im Giebel verschwand. Er rutschte auf dem nassen Boden mit seinen Holzschuhen aus und klatschte rücklinks in die größte Schlammpfütze. Dort saß er noch eine kurze Weile und war fassungslos, über das was er gerade gesehen hatte.
Die Hühner hörten auf zu toben und gingen wieder ihrer Beschäftigung nach, Würmer zu suchen, denn sie hatten erreicht was sie wollten.

Der Bauer wartete unter dem Vordach der Haustür, von wo er den alten Schuppen gut beobachten konnte und nicht naß wurde, ob das siebente Huhn sich wieder zeigen würde und tatsächlich nach ein paar Stunden kam es wieder heraus, flog wie eine Taube in den Hof und tat so als sei nichts gewesen.

Er lief schnell zum Bauern nebenan und erzählte die Geschichte. Der wollte ihm nicht glauben und sie gingen beide zum alten Schuppen. Sie schauten sehr überrascht, als sie das riesige Nest sahen, mit den über Dutzend Eiern, die darin lagen. Die Eier wurden mitgenommen und das abgerissene Brett wieder an den Giebel genagelt. Jetzt war das Loch im Schuppen wieder verschlossen.

Die Hühner hatten sich in ihren Stall begeben, denn es wurde schon langsam dunkel. Sie waren sehr überrascht, das der Bauer heute in den Stall hereinkam und nicht nur von außen die Tür verschloß.
Er hatte ein unfreundliches Grinsen im Gesicht und in der rechten Hand, hinter dem Rücken eine große Schere. Er streichelte die Hühner eins nach dem anderen und als er das siebente Huhn streichelte und dieses sich dabei wollig räkelte, packte er es am Hals und schnitt ihm mit der Schere ein Stück vom rechten Flügel ab. Es war entsetzt und gackerte laut, aber da war es schon zu spät. Der Bauer verließ den Stall und die anderen Hühner sagten schadenfroh, siehst du, das hast du nun davon, das geschieht dir zu Recht.

Am nächsten Morgen wollte das siebente Huhn sofort weg vom Bauernhof, alle waren so gemein zu ihm, hier wollte es keinen Tag länger bleiben, dann lieber im Wald leben. Es lief zum Zaun begann zu flattern, dann zu fliegen und plötzlich schon fast oben angekommen stürzte es ab, machte eine Rolle in der Luft und fiel hart und schmerzhaft auf den Boden. Denn der eine Flügel hatte gut funktioniert, aber der andere war nur noch halb so lang und so kann man unmöglich fliegen. Die anderen Hühner die sich das Schauspiel angesehen hatten, lachten es fürchterlich aus und machten sich den ganzen Tag darüber lustig, sogar abends im Stall wurde die Geschichte immer und immer wieder erzählt und endete in schallendem Gelächter. Das siebente Huhn war sehr traurig, wie gemein die Anderen sein können. Neid und Haß sind schlechte Begleiter in einer Gemeinschaft.

Noch ein paar Tage versuchte das siebente Huhn über den Zaun zu fliegen, aber es endete immer mit der gleichen Bruchlandung am Boden. Von da an sah man es jeden Tag hinten am Zaun stehen und zum Wald hinüber sehen und wer ganz genau hinsah konnte im rechten Auge eine kleine Träne sehen. Es gluckste leise dabei und es klang als ob es sagte, Freiheit.

Noch ein Schlußwort für die Erwachsenen, falls diese auf Grund ihres durch das System bedingten Bildungs- und Empfindungsgrades nicht in der Lage sind den tieferen Sinn dieser Geschichte zu erfassen, welcher jedem alten Märchen inne wohnt. Die Moral von der Geschicht, halbe Sachen macht man nicht. Oder mit den Worten von Marie von Ebner-Eschenbach, die glücklichen Sklaven sind die größten Feinde der Freiheit.
Liebe und Harmonie möge die Gerechten begleiten. lutz